„Es reicht nicht aus, nur eine Gemeinde zu sein, die Gäste willkommen heißt, die von sich aus den Weg in den Gottesdienst finden. Wir müssen auch lernen, sie aktiv einzuladen.“ Das legte Michael Harvey aus Machester (UK) den über 100 Teilnehmenden an zwei Studientagen in Hannover (27.01.2016) und Nürnberg (28.01.2016) ans Herz. Wichtig beim Einladen sei aber, dass wir uns nicht von den Zahlen gefangen nehmen lassen. Der Erfolg dürfe sich alleine daran messen, wie viele Personen eingeladen worden sind und mit wie vielen eine Beziehung geknüpft worden ist – nicht aber, wie viele der Einladung in den Gottesdienst tatsächlich gefolgt sind. Anscheinend sei in der Kirche das Konzept der Treue zum erhaltenen Auftrag durch das des zahlenmäßigen Erfolgs ersetzt worden.

„Fürchtet euch nicht!“

Harvey wirbt seit 12 Jahren weltweit für die Back-to-Church-Initiative. Im Laufe der Jahre hat er sich immer mehr mit der Frage beschäftigt, warum so wenige Gemeindeglieder – seiner Erfahrung nach seien es 80-95 % – nicht in den Sinn kommt, Verwandte, Freunde oder Bekannte zum Gottesdienst einzuladen. Seine These: Wir haben Angst, dass unsere Einladung zurückgewiesen werde. Diese Angst werde in kirchlichen Kreisen gerne umschrieben und kleingeredet: „Wir sind ein wenig besorgt!“ oder „Das ist eine sensible Situation!“ Dabei sage Gott in der Bibel immer wieder: „Fürchtet euch nicht – denn ich bin bei euch!“

„Es gibt eine Zeit des Säens und eine Zeit des Erntens“, sagt der Prediger Kohelet. Beides könne nicht gleichzeitig und auch nicht unmittelbar nacheinander geschehen, betonte Harvey. Vielmehr brauche jeder Prozess – wie jeder Mensch und jedes Tier im Mutterleib auch – eine Zeit des Reifens. Zudem sei auch Mose zehnmal zum Pharao gesandt worden, bis dieser die Israeliten endlich habe ziehen lassen. So brauche es manchmal auch mindestens zehn „Nein“, bis jemand eine Einladung mit „Ja“ beantwortet.

Auf dem Weg zu einer neuen Einladungskultur

Warum haben wir Menschen aber so Angst davor, zurückgewiesen zu werden? „Weil dabei alte Wunden freigelegt werden“, ist Harvey These. Doch zeige der Blick in die Bibel, dass Gott offenbar gezielt verwundbare und zweifelende Menschen in seinen Dienst nehme. Warum sonst betone Matthäus unmittelbar vor dem Großen Missionsbefehl (Mt 28,20), dass einige der Jünger Zweifel gehabt hätten?

Wie kann in einer Gemeinde eine Einladungskultur wachsen? Wie können Gemeindeglieder ermutigt werden, jemanden tatsächlich einzuladen? Dazu schlug Harvey den „Eichel-Prozess“ vor. Die Buchstaben des englischen Worts ACORN (Eichel) schlüsselt er auf in Ask (Fragen) – Call (Ruf) – Obey (Gehorchen) – Result (Ergebnis) – Numinous (Geheimnisvoll): In einem Gottesdienst fordert der Prediger dazu auf, Gott zu fragen, ob und wenn ja welche Person man einladen solle. In einer anschließenden Stille hören die Gemeindeglieder, ob Gott sie rufe und ihnen eine einzuladende Person in den Sinn kommen lasse. Die Initialen dieser Person (ansonsten ein Fragezeichen) können auf einen Post-it-Zettel geschrieben und an ein Holzkreuz im Kirchenraum geklebt werden. Bis zum kommenden Sonntag sei dann Zeit, dem verspürten Auftrag Folge zu leisten und sich im Gottesdienst gegenseitig zu erzählen, wie es einem damit ergangen sei. Dies alles müsse in einer Atmosphäre des Gebets geschehen und im Wissen darum, dass Gottes Handeln geheimnisvoll bliebe. Ob und wie eine ausgesprochene Einladung Frucht trage, liege allein in Gottes Hand.

Videos von Michael Harveys Vorträgen finden sich auf der Material-Seite.